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Die Seeheilstätte bei Lochstädt in Ostpreußen

Die Seeheilstätte bei Lochstädt wurde vom "Verein zur Errichtung von Lungenheilstätten in Ostpreußen e.V.", mit Sitz in Königsberg, 1906 im Kiefernwald von Lochstädt in Nähe der Ostsee begonnen und Mitte August 1914 nahezu fertiggestellt.

Dieses für die damalige Zeit moderne Heim diente der Heilung Tbc-kranker Kinder und war ganzjährig geöffnet. Vorgesehen war zuerst die Aufnahme von ca. 80 Kinder im Alter von 4 bis 14 Jahren für alle tuberkulösen Fälle, mit Ausnahme ansteckender Tuberkulose.

Einige Jahre später kam auch eine Station für offene Tuberkulose dazu. Durch den Ausbruch des l. Weltkrieges wurden zunächst die Kinder von ostpreußischen Flüchtlingen aufgenommen. Erst danach erfolgte die Aufnahme tuberkulöser Kinder. Die Heilfaktoren waren in erster Linie Wald- und Seeluft und Sonne. Am 1.10.1917 wurde die Anstalt von der Kaiserin Auguste Viktoria besucht.

Der "Verein zur Errichtung von Lungenheilstätten in Ostpreußen" war ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder ausschließlich öffentlich-rechtliche Körperschaften waren, nämlich die Landesversicherungsanstalt und die Provinzialverwaltung Ostpreußen, einige ostpreußische Stadt- und Landkreise sowie die Innere Mission und die Caritas aus Ostpreußen.

Der Verein unterhielt insgesamt 3 große Tuberkuloseheilstätten. Vorsitzender des Vereins war der Landeshauptmann der Provinz Ostpreußen. Im Jahr 1935 wurde der Verein zur Errichtung von Lungenheilstätten von der Landesversicherungsanstalt Ostpreußen übernommen.

Krankenpflege und ärztliche Betreuung: Die Krankenpflege wurde bis 1920 vom Johanniter-Orden übernommen. Die Oberin war Adele von Braun. Im Herbst 1920 übernahm dann das Krankenhaus der Barmherzigkeit auf dem Vorderroßgarten in Königsberg die Krankenpflege. Die Diakonissen sind evangelische Ordensschwestern, die sich ausschließlich auf die Krankenpflege beschränken.

Die Leiterin der Ordensschwestern war die Oberin Martha Sawatzki. Sie übte dieses Amt bis zu ihrem Tod 1943 aus. Ihre Nachfolgerin war dann bis zur gewaltsamen Auflösung und Flucht im Januar 1945 die Oberin Maria Peschutta.

Die ärztliche Betreuung der Kinder der Seeheilstätte erfolgte bis 1920 durch den Kreisarzt in Fischhausen, Medizinalrat Dr. med. Holz, der zweimal in der Woche anwesend war.

Durch ständigen Ausbau weiterer Stationen stieg die Zahl der zu behandelnden Kinder auf ca. 350 Kinder an. Ein Chefarzt und Stationsarzt wurden eingestellt. Der 1. Chefarzt war Medizinalrat Dr. med. Daus. In weiteren Folgen Dr. med. Herholz, Medizinalrat Dr. med. Salecker und zuletzt Dr. med. Goerdeler, ein Bruder des am 2.2.1945 hingerichteten Widerstandskämpfers Carl Goerdeler.

Lage und Bebauung der Lungenheilanstalt

Das Areal war ca. 15.000 qm groß. Die Kiefern für die Anlage wurden mitten im Wald gerodet. Im gegliederten Hauptblock befanden sich die Verwaltung, die ärztliche Leitung mit dazugehörigen Behandlungsräumen, die Stationen für Kinder,

im rechten Trakt die Räume für die Ordensschwestern, im Anschluss daran die moderne, große Küche mit Wirtschaftsräumen, und schließlich die Wäscherei inkl. Mangel- und Desinfektionsräumen.

Darüber, im 1. OG. mit gesondertem Aufgang, die Station für die offene Tuberkulose. Im linken, südlichen Trakt waren die ganzjährig genutzten Liegehallen für die Kinder. Der ganze Hauptblock war unterkellert. Hier befanden sich die Heizungsanlage inkl. den Kellern für Brennmaterial, Vorratskeller für Lebensmittel und die Kühlräume für Natureis. Im 2. Block waren die Wohnungen für den Maschinenmeister, den Gärtner, den Chauffeur und in den Obergeschossen die Schlafräume für das weibliche Personal für die Küche und die Wäscherei untergebracht sowie die Schlafräume für die Gehilfen für Heizung und Garten. Im Zwischentrakt war eine Garage , ein großer Schweinestall, ein Pferdestall und eine Wagenremise. Im Dachraum darüber wurden Stroh, Heu und Futtergetreide gelagert. Dieser 2. Block brannte 1929 ab und wurde 1930 wieder neu errichtet. Im Zuge dieser Baumaßnahme wurde gleichzeitig ein dritter, eingeschossiger Trakt für Kinder und daneben ein Wohnhaus für den leitenden Arzt gebaut.

 

Einrichtungen für die Betreuung und Bewirtschaftung der Lungenheilanstalt

In Bezug auf Heilverfahren für tuberkulöse erkrankte Kinder war die Anstalt modern eingerichtet und besaß nahezu eine autarke Wirtschaftlichkeit. Im unterkellerten Teil eine große Zentralheizungsanlage für alle Blöcke inkl. Räume für Brennmaterialien, eine Pumpstation für Meerwasser aus der Ostsee, dass in Behältern erwärmt, in Duschen und Bäder geleitet wurde. In der großen Küche wurden täglich die Speisen für ca. 400 Personen (Kinder, Schwestern und Dienstpersonal), zubereitet. Die anfallenden Speisereste und Küchenabfälle wurden ganzjährig an die eigenen 16 Stück Mastschweine verfüttert. Im ständigen Zyklus wurden die schlachtreifen Tiere (ca 450 kg schwer) geschlachtet und selbst verarbeitet. Für die Eisgewinnung stand hinter dem Gebäude ein ca. 10 m hohes Gerüst aus starken Rundhölzern, daß im Winter mit Wasser berieselt wurde. Das so gewonnene Eis wurde im Keller gelagert und diente im Sommer zur Kühlung von verderblichen Lebensmitteln. Die Gebäude der Anstalt waren umgeben von einer schönen Parkanlage, die der Landschaftsgärtner Robert Böhnke seit 1921 aus einer gerodeten Waldfläche angelegt und gestaltet hatte. Dazu gehörte auch ein großer Obst- und Gemüsegarten mit Gewächshaus, Frühbeeten und Beerensträuchern. Das gesamte Areal war von einen 2 m hohen Zaun umgeben und nur durch den Haupteingang zu betreten. Besucher mussten sich vorher anmelden.

Die Seeheilstätte bei Lochstädt hat in den nur 31 Jahren ihres Wirkens viele Kinder geheilt entlassen können. Durch den 2. Weltkrieg wurde Ende 1944 bis Anfang 1945 dieser segensreichen Einrichtung ein Ende gesetzt. Aus der Anstalt wurde ein Kriegslazarett. Im Januar 1945 trat das gesamte Personal die Flucht über Pillau mit Schiffen nach Kiel an.

 

50 Jahre später

Im Juli 1995 habe ich die ehemalige Seeheilstätte besucht. Für mich, der ich hier meine Kindheit erlebt habe, war es ein erschütternder Anblick. Alle Gebäude sind abgerissen, die Anlagen zerstört.

An dieser Stelle stehen jetzt einige z.T. viergeschossige Krankenhäuser - gebaut mit Materialien von abgebrochenen Bauten aus der näheren Umgebung. Diese Gebäude dienen jetzt der Pflege stationierter Soldaten im ehemaligen Ostpreußen. Die Aufgabe, kranke Menschen an dieser Stelle zu heilen, ist geblieben, die Umgebung hat sich verändert.

(Verfasser: Ulrich Böhnke, Jg. 1919)

 

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